2016
marsch der frauen
EntArteOpera 2016
Projekt Wien 2016
THEMENSCHWERPUNKT Verfemte und Vergessene Komponistinnen
Ausstellung
Marsch der Frauen
Ungehörige Komponistinnen zwischen Aufbruch, Bruch & Exil
vally weigl
Vally Weigl
Wenn eine junge Kompositionsschülerin ihren Jahre älteren Professor heiratet, ist ein
Ungleichgewicht von Können und Erfahrung integraler Bestandteil der daraus entstehenden
Beziehung. Müssen beide zudem im fortgeschrittenen Alter wegen ihrer jüdischen Herkunft
vor dem NS-Regime fliehen, entwickelt sich das erzwungene Exil zu einer neuen Herausforderung.
Sicher nicht zufällig startete Vally Weigl in Amerika erst nach dem Tod ihres Mannes,
des Komponisten Dr. Karl Weigl, im gleichen Fach und darüber hinaus als Pionierin der
Musiktherapie ab dem Alter von 60 Jahren eine eigenständige Karriere.
„I had to fight for every step toward independence from those society rules which
I rejected by then more and more.“ Vally Weigl
„From my very early days as a musician and composer, I have been concerned about using
the power of music for reaching people.’“ Vally Weigl
Vally Weigl (1894–1982) Geglückte Metamorphosen
Von der Wiener Komponistin zur amerikanischen Pionierin der Musiktherapie
Vally Weigl, geborene Valerie Pick, wurde am 11. September 1894 in Wien geboren.
Sie entstammte einem aus den Kronländern der Habsburgermonarchie zugewanderten Paar.
Der Vater - ein Gerichtsadvokat, kam aus einer böhmischen Industriellen-, die Mutter,
Charlotte Rubinstein - eine Pianistin, aus einer rumänischen Bankiersfamilie. Zusammen
mit ihrer jüngeren Schwester Marianne Katharina wuchs sie in einer typischen, intellektuell
anregenden und assimilierten Bürgertumsfamilien der Wiener Jahrhundertwende auf. Während Käthe
Staatswissenschaften studierte und als Pionierin der Frauenforschung Karriere machte, entschied
sich Vally für die Musik.
Weiblicher Aufbruch durch Bildung
Beide Schwestern revoltierten gegen das Weiblichkeitsideal, betrieben Sport
und professionalisierten sich durch Bildung. Nach der Matura war Vally mitten im
Ersten Weltkrieg Schülerin und Assistentin des Komponisten und Professors für Klavier,
Richard Robert und absolvierte ein musikwissenschaftliches Studium bei Guido Adler.
Ab 1914 belegte sie bei dem renommierten Karl Weigl die Fächer für Kontrapunkt und
Komposition. In der von Hunger geprägten Nachkriegszeit nahm sie 1920 für fünfzehn
Monate eine Arbeit als Sekretärin und Übersetzerin bei der International Transport
Workers Union in Amsterdam an. 1921 kehrte sie nach Wien zurück und heiratete mit
27 ihren um 13 Jahre älteren und bereits geschiedenen Professor Karl Weigl. 1926
kam der gemeinsame Sohn Wolfgang Johannes zur Welt. Ende der Zwanzigerjahre war
Karl Weigl ein gefragter Pädagoge und geschätzter Komponist. Vally ihrerseits
unterrichtete an der Volkshochschule, gab Privatstunden in Wien und während der
Festwochen in Salzburg. Zudem trat sie regelmäßig zusammen mit ihrem Mann als
Klavierduo auf und unterstützte ihn in seinem Schaffen.
Als Adolf Hitler 1933 die Macht in Deutschland übernahm kamen Karls Werke auf die Verbotsliste
und beide verloren zunehmend ihre Schüler und Schülerinnen. 1938 waren sie wegen der jüdischen
Abstammung zudem an ihrem Leben bedroht. Während ihre Schwester Käthe Leichter vom NS-Regime
ermordet wurde gelang dem Paar mit Hilfe der Quäker zusammen mit ihrem zwölfjährigen Sohn die
Flucht in die USA. Zu diesem Zeitpunkt war Karl 57, Vally 44 Jahre alt.
Beide gaben in New York privaten Klavierunterricht, boten Stunden in Komposition und Musiktheorie
an und traten zusammen vierhändig klavierspielend auf. 1943 erhielten sie die amerikanische
Staatsbürgerschaft, 1949 starb Karl. Eine bei einem Sturz zugezogene Schulterverletzung machte
Vally das Klavierspiel unmöglich und führte zu einer tiefen psychischen Krise, die
gleichzeitig einen fulminanten Neustart der Mitfünfzigerin bedeutete.
Eine aktive Witwe – Komponistin – Musikvermittlerin – Therapeutin
Durch die Krankheit sensibilisiert, erkannte sie die heilende Wirkung von Musik. In New York
begann sie mit 60 Jahren eine Ausbildung zur Musiktherapie. Nach erfolgreichem Abschluß
betätigte sie sich als Musiktherapeutin und als Vortragende. Ende der 1950er Jahre analysierte
sie in zahlreichen europäischen Ländern den Entwicklungsstand der Musiktherapie. Vally Weigl
übernahm in diesem Zusammenhang eine wichtige Brückenfunktion zwischen der alten und der neuen Welt.
Nun konzentrierte sie sich erneut auf ihr kompositorisches Schaffen. Ihr Oeuvre spiegelt ihre
politische und pazifistische Einstellung wider, ihre Kompositionen zeigen einen geistlichen und
weltlichen Schwerpunkt von Vokalwerken, der insgesamt an die 190 Titel umfasst und an der
Spätromantik ihrer Wiener Herkunft angelehnt ist. Der Großteil von ihnen blieb unveröffentlicht.
Musikalisch reflektiert sie darin ihre Wiener Herkunft und die Spätromantik des 19. Jahrhunderts.
Ihr unermüdlicher Aktivismus kannte kein Alter. Die betagte Dame engagierte sich in zahlreichen
Frauen- und Friedensvereinen und widmete sich dem Lebenswerk ihres Mannes. Vally Weigl starb
1982 mit 88 Jahren. Als Pionierin der Musiktherapie und als Komponistin markierte die Witwe
eine berufliche Eigenständigkeit, die sie als Ehefrau nur vorbereitet hatte. Ihre Verdienste
fanden in Amerika Anerkennung, in ihrer Geburtsstadt Wien blieb sie weitgehend unbekannt.
Erst 2001 wurden einzelne kammermusikalische Stücke in einer Kooperation zwischen dem Orpheus
Trust und dem Herbert von Karajan Centrum einem österreichischen Publikum präsentiert.
2009 benannte man im 10. Wiener Gemeindebezirk eine Gasse nach ihr.
Dr.in Lisa Fischer
Werkverzeichnis:
Liebster, Liebster, schläfst du noch | 1916 | Stimme und Klavier
Der Tod | 1936 | Stimme und Klavier
Old Time Burlesque | 1938 | Violoncello und Klavier
The Firstborn | 1941 | Stimme und Klavier
Andante | 1945 | Streichquartett oder Streichorchester
Adagio | 1951? | Streichquartett oder Streichorchester
Autumn Mood oder Summer’s End | 1948 | Stimme und Klavier
New England Suite | 1953 | Klarinette, Violoncello, Klavier
Five Songs of Remembrance | 1953 | Stimme und Kammerensemble
Nature Moods | 1956 | Tenor, Klarinette, Violine
Dear Earth | 1956 | 5 Lieder für Stimme und Kammerensemble
Songs from Do not Awake Me | 1957 | Stimme, Violine, Klavier
Echoes from Poems 1958 | Stimme und Ensemble
Songs from No Boundary | 1963 | Stimme, Violine, Violoncello, Klavier
Songs from Native Island | 1965 | Stimme und Klavier
Seven Rounds in Various Moods | 1965 | Stimme und Klavier
Mother’s Day | 1969 | Stimme und Klavier
Requiem for Allison | 1971 | Mezzosopran und Streichquartett oder Streichorchester
Adagietto | 1971 | Streichquartett oder Streichorchester
Songs of Concern | 1973 | Stimme, Violine, Klavier
Brief Encounters | 1979 | Klarinette, Horn, Fagott, Oboe
Oiseau de la vie | 1979 | Flöte oder Klarinette
Songs Newly Seen in the Dusk | 1979 | Stimme und Streichquartett
Songs of Love and Leaving | 1980 | Mezzosopran, Bariton, Klarinette, Klavier
Lyrical Suite | 1980 | Stimme, Klavier, Flöte, Violoncello
Toccatina (Hommage to Robert Schumann) | 1982 | Klavier
Werke für Kammerensemble
Werke für Klavier zu zwei und zu vier Händen
Chorwerke
Klavierlieder